[quote cite=“MC Ren / Hounddogz“]Asking me what’s up with Eazy
Or Dr. Dre, yo did he marry Michel’le?
Or did the D.O.C get his voice back?[/quote]
November 1989: Die Dinge stehen gut für Tracy Curry, besser bekannt als The D.O.C. – sein drei Monate zuvor erschienenes Debüt-Album No One Can Do It Better ist in den Charts, die ausgekoppelten Singles sind Hits. Grund zu feiern, keine Frage. Als er von einer Party nach Hause fährt, schläft er am Steuer ein. Sein Auto kommt von der Straße ab, rammt einen Baum. Nicht angeschnallt wird er aus dem Wagen geschleudert und erleidet schwere Verletzungen, unter anderem eine Kehlkopfquetschung. Zwar kann er nach einigen Monaten wieder sprechen, doch seine Stimme ist nun rau, heiser und leise.
Drei Jahre zuvor ist der gebürtige Texaner zusammen mit Fresh K und Dr. Rock als Fila Fresh Crew unterwegs. Dr. Rock war zuvor als DJ für die World Class Wreckin‘ Cru aktiv, in der ein gewisser Dr. Dre im silbernen Pailletten-Anzug Beats produzierte – es ist diese Connection, die der Fila Fresh Crew vier Stücke auf N.W.A And The Posse (1987) verschafft. Zwei Jahre darauf folgt dann mit No One Can Do It Better das erste D.O.C.-Album. Der Zeitpunkt ist klug gewählt, denn der Westcoast-Hype um N.W.As umstrittenes Debüt Straight Outta Compton – an dem Curry nicht unwesentlich beteiligt war – ist in vollem Gange. No One Can Do It Better hält sich zwei Wochen an der Spitze der R&B/Rap-Billboard Charts, die beiden ausgekoppelten Singles wurden ebenfalls Nummer-1-Hits – eine davon ist The D.O.C. & The Doctor featuring Dr. Dre.
Der andere Hit ist das Misdemeanor von Foster Sylvers samplende Is It Funky Enough. Der Track ist nicht nur ein Paradebeispiel für den neuen Westcoast-Sound der späten 80er, sondern präsentiert eindrucksvoll das lyrische Talent des D.O.C.. Es ist nicht verwunderlich, dass er in punkto Können oft mit Ice Cube in einem Atemzug genannt wird. Kenner werden hier das ein oder andere Sprachsample identifizieren können, das auf späteren Westcoast-Releases zu finden war, im Video stärkt die N.W.A-Posse Curry den Rücken und stellt fest: The D.O.C. is dope!
Mein erster Berührungspunkt mit The D.O.C. liegt im Jahre 1989/90: Als ich anfing, YO! MTV Raps zu gucken, kam gerade The Formula raus, die dritte Single-Auskopplung aus No One Can Do It Better. Das Intro zum Video, in dem Dr. Dre und Eazy-E ein offenes Casting für den Rap-Nachwuchs veranstalten, nimmt damalige Klischee-Kombos auf’s Korn und sorgt für nachhaltige Lacher. Im eigentlichen Clip wird der tote D.O.C. von Dr. Dre in Frankenstein-Manier zum Leben erweckt. Wie nahe man der Realität mit diesem Video kommen sollte, ahnt damals niemand.
Kurz nach Erscheinen des Videos hat Tracy Curry seinen Autounfall, der ihn fast das Leben kostet. Doch unterkriegen lässt er sich nicht. Nachdem er wieder auf den Beinen ist, widmet er sich in erster Linie seinem zweiten Standbein, dem Ghostwriting. Schon We Want Eazy von Eazy-E – eigentlich immer Ice Cube angekreidet – entstammte seiner Feder (nachzulesen in diesem LA-Weekly-Artikel über D.O.C.’s Top Five D.O.C. Ghostwritten Songs), in den Credits zur 100 Miles And Runnin EP von N.W.A ist er als Co-Schreiber fast aller Tracks vermerkt, auch auf ihrem letzten Album Efil4zaggin steuert er Einiges an Lyrics bei. Seiner eigenen Aussage zufolge ist er maßgeblich für die Dre-Strophen auf The Chronic verantwortlich, unter anderem auch für den Mega-Hit Nuthin‘ But A G-Thang, der Dre (und auch Snoop) zum Durchbruch verhalf.
Zusätzlich arbeitet er weiter an seinem Comeback als Solo-Künstler. Sein Album Helter Skelter kommt 1995 raus – und kaum jemanden interessiert es. Sogar The D.O.C. selbst will mit dem Longplayer nichts zu tun haben, wenn man ihn in Interviews danach fragt, weil… ja, warum eigentlich? Ich kann’s Euch nicht erklären, ich finde das Ding sehr gut. Die extrem düstere und pessimistische Atmosphäre ist nicht nur auf die kaputte Stimme zurückzuführen, das ganze Produkt ist auf Endzeitstimmung angelegt. Vom Cover über den Titel bis hin zu den Lyrics schwingt hier permamentes Unheil mit. Seltsame Features runden das Werk ab, Jello Biafra von der Punk-Rock-Band Dead Kennedys mischt mit, ein Zeitgenosse mit dem schönen Namen Erotic D steht am Keyboard. Neben MC Breed und DFC gibt es auch einen Gastpart von Mally-G, besser bekannt als Jamal von der Junior-Crew Illegal (kennst Du nicht? Klick hier!). Die erste Single heißt Return Of Da Livin Dead, das so klingt, als hätte man Is It Funky Enough erschossen, eingegraben und wiedererweckt.
Das Album Helter Skelter stellt gleichzeitig den vorläufigen Bruch mit dem ehemals guten Freund Dr. Dre dar. Eigentlich war der Titel Helter Skelter für dessen heiß erwartetes Kollabo-Album mit Ice Cube vorgesehen. Da D.O.C. sich in finanzieller Hinsicht – und auch in punkto Respekt – von Dre übergangen fühlt, was seine Mitarbeit an The Chronic angeht, nimmt er nicht nur den Albumtitel mit, sondern auch einen großen Teil der Texte, die er für Dres Parts geschrieben hatte. Die Cube/Dre-Kollabo kam folgerichtig niemals raus und stellt so gewissermaßen den Vorgänger-Treppenwitz zum notorischen Nicht-Erscheiner Detox dar. Ursprünglich geht der Name „Helter Skelter“ übrigens auf einen Song der Beatles zurück (der nach Meinung des Serienmörder-Gurus Charles Manson das Herannahen eines apokalyptischen Rassenkriegs prophezeite). Bei aller Düsternis hatte The D.O.C. jedoch sein Gespür für satte, funkige Beats nicht verloren – so hört man auf dem Album auch den besten G-Funk-Track, den niemand kennt: The Bitches.
2003 erschien das Album Deuce, das zwar als D.O.C.-Album angepriesen wurde, aber eigentlich andere MCs in den Vordergrund stellt. Zu den bekannten Namen auf dem Album zählen Snoop Dogg, MC Ren, Nate Dogg und Ice Cube, hinzu kommen unbekanntere Küntler von D.O.C.s Label Silverback Records. Der Doc selbst hält sich jedoch eher bedeckt, spricht hier ein Intro, steuert dort ein paar Zeilen bei. Nach Deuce wird es still um Curry.
Zurück ins hier und heute: Hätte ich diesen Artikel vor drei Jahren gepostet, anstatt ihn in der Schublade verschwinden zu lassen, dann würde die Geschichte des MCs, dessen zweifellos große Zukunft durch einen Autounfall mehr oder weniger zerstört wurde, jetzt enden. Doch die über Jahrzehnte in Anspruch genommene Sprachtherapie hat wohl endlich Wirkung gezeigt, die Anstrengungen auf dem Weg zurück zu einer „normalen“ Stimme haben sich bezahlt gemacht: In einem Interview präsentierte The D.O.C. vor einigen Tagen für einen kurzen Moment, dass er wieder normal sprechen kann, wenn er sich entsprechend konzentriert (Minute 9:30):
Wer jetzt schon auf das Erscheinen seiner seit Jahren angekündigte LP Voices Thru Hot Vessels in „normaler“ Tonlage spekuliert, der sollte seine Erwartungen vielleicht etwas bremsen. Für all jene, die den Weg von The D.O.C. seit seinem ersten Album mitgegangen sind, hat die Nachricht von seiner zurückgekehrten Stimme doch irgendwie was Episches, und sei es „nur“ in menschlicher Hinsicht. Man kann Tracy Curry nur das Beste wünschen und hoffen, dass er im Falle eines Comebacks endlich die Props kassiert, die ihm so lange verwehrt worden sind.