Wer hält die Welt in der Hand? 25 Jahre Die Firma – Spiel des Lebens / Spiel des Todes (1998)

Jubiläen sind eine schöne Sache, trotzdem verpasse ich regelmäßig diejenigen meiner Lieblingsalben. Da in meiner Facebook-Timeline aber zwischen viel Schwachsinn ab und an noch etwas auftaucht, was mich tatsächlich interessiert, wurde ich an Folgendes erinnert: Vor 25 Jahren erschien Spiel des Lebens / Spiel des Todes, das Debüt von Die Firma, bestehend aus Tatwaffe, Def Benski und Fader Gladiator. Es ist heute sogar schon etwas länger her als 25 Jahre, denn das offizielle VÖ-Datum war laut dem allwissenden Internet bereits der 3. April 1998. In seinem Anniversary-Post schrieb Tatwaffe dazu u.a. folgendes:

Vor 25 Jahren. Spiel des Lebens / Spiel des Todes, unser Debut Album, das den Labels entweder zu hardcore oder zu poppig war. Zwei Jahre später sind sie uns die Türen eingerannt um uns zu signen. Die Deutschrap Medien schweigen uns gerne tot, da wir uns nie angepasst und angebiedert haben, aber wer damals in der Crowd war, hat uns nie vergessen. (…)

Ich bin kein Deutschrap-Medium, und live habe ich Die Firma glaube ich nur ein Mal beim Splash gesehen… aber der Teufel soll mich holen, wenn ich nicht ein paar Zeilen zu der LP schreibe. Denn dieses Album hat mich geprägt, was deutschsprachigen Rap angeht. Es läutete gewissermaßen die Phase ein, in der ich Rap auf Deutsch mindestens gleichauf mit Ami-Sachen behandelte. Und diese Phase begann 1998.

1998, das war drei Jahre, nachdem Wenn hier einer schießt, dann bin ich das vom Äi-Tiem erschienen war. Hier hatte ich geschrieben, dass dieses Werk das erste deutschsprachige Album war, mit dem ich wirklich was anfangen konnte. Und danach kam – ja, lange Zeit gar nichts. Zwar war über die Jahre einiges in Rap-Deutschland passiert, aber hundertprozentig übergesprungen war der Funke bei mir noch nicht. Ich hatte nichts gegen Rap auf Deutsch, hörte einige Sachen ganz gerne, erkannte auch die Fortschritte, gab den Amis aber grundsätzlich immer den Vorzug.

Dann kam das Jahr ’98. Man muss im Nachhinein sagen, 1998 war objektiv betrachtet ein sehr gutes Jahr für Rap hierzulande. Für mich waren Unter Tage von R.A.G. und (im nachhinein) Dorn im Dritten Auge von Feinkost Paranoia und Harte Zeiten von La Familia die Highlights, aber auch die Beginner waren mit Bambule draußen, Spax mit Privat, Cora E mit CORAgE, die Spezializtz mit G.B.Z. Oholika… es war für jeden Geschmack etwas dabei. Ich war damals noch komplett auf dem CD-Turn, meinen ersten 1210er kaufte ich mir erst ’99 von meiner Bundeswehr-Abfindung, bis dahin dominierte der Silberling in meinem Regal. Ich weiß nicht mehr, wo ich die Spiel des Lebens / Spiel des Todes-CD mitnahm, wahrscheinlich war es Media Markt oder Schaulandt in Spandau. Tatwaffe kannte ich schon von VIVA Freestyle und von Das Duale System, Def Benski Obiwahn natürlich vom Äi-Tiem. Die Feature-Liste war äußerst attraktiv, das Cover mit der Casino-Optik auf der Front und der 4,5,6-Straßenwürfelrunde auf der Rückseite gefiel mir – irgendwie wirkte das Ding in seiner ganzen Aufmachung schon episch, bevor ich auch nur eine Note daraus gehört hatte. Also ab in den real existierenden Warenkorb, an die Kasse und nach Hause. Das Album selbst pustete mich weg. Ein Werk, das in meinen Augen damals seinem episch klingenden Titel und der opulenten Aufmachung voll und ganz gerecht wurde.

Dieses Album hatte alles. Den über alles erhabenen All-Star Track (Aktionäre). Diese eine Nummer mit Pop-Appeal, die im Herzen alle feierten, ohne es an die große Glocke zu hängen (Die Eine). Rap über Verschwörungstheorien, als dieser Begriff noch nicht alles und jedem übergestülpt wurde (Nachricht aus Utopia). Geschichten über Depression und Selbstzweifel (Konfusion). Und das brachiale Anti-Sell-Out-Statement Scheiss auf die Hookline, bezeichnenderweise der einzige Track, zu dem ein Video veröffentlicht wurde.

Die Beats aus der Werkstatt von Fader Gladiator waren ebenso vielfältig wie die lyrischen Inhalte und bedienten die gesamte Skala von untergrundig bis poliert-pompös. Dann der geniale Move, die Spiel-des-Todes-Seite mit Tanz der Toten einzuläuten, das dieselben Lyrics hatte wie Rien Ne Va Plus, das Intro der Lebens-Seite, aber sich auf dem absolut apokalyptischen Beat in einen völlig anderen Track verwandelte. Oder auf Totgeglaubte leben länger neben Imperator (R.I.P.) von CUS auch Advanced Chemistrys Torchmann ins Rennen zu schicken, dessen prophetisch-philosophische Zeilen auf dem schleppenden Beat von Fader Gladiator bleibenden Eindruck hinterließen. Und Aktionäre? Mit Features von Aphroe, Curse, Fast Forward & Scope (STF), Future Rock, Gianni, Hans Solo (Äi-Tiem), Luxus Chris (Stieber Twins), Gianni, Rotzlöffel & Schivv (DCS) plus Te (Creme De La Creme)…? Ja, Aktionäre ist vielleicht der beste deutschsprachige All-Star-Track aller Zeiten. Einigen der darauf vertretenen MCs schenkte ich erst aufgrund dieses Tracks das Ohr, das sie schon länger verdient gehabt hätten.

Das Album war verdammt unterhaltsam, egal, wie oft man es hörte, es wurde nicht langweilig. Wie es sich gehörte, überspielte ich es auf meiner Anlage von CD auf Tape und nahm es mit zu einem Kumpel, bei dem wir in unterschiedlichster Besetzung fast täglich chillten. Und für ein paar Monate wurde die Kassette zum Soundtrack der Sessions. Das Teil lief ungelogen rauf und runter, immer und immer wieder. Und niemand schien etwas dagegen zu haben. Im Gegenteil, viele der Anwesenden verbreiteten es weiter. Und so war das Ding überall, jeder, der Rap und Deutschrap feierte, kannte die Tracks. Ohne dieses Album wäre meine ausklingende Rap-Jugend nicht die gewesen, die sie war. Für mich läutete diese LP wie gesagt meine persönliche Deutschrap-Ära ein, die 1999 mit dem Run von Put Da Needle To Da Records und Home Recordings sowie diversen Konzert- und Festivalbesuchen ihren Höhepunkt erreichen sollte, bevor sie Anfang der 2000er langsam abebbte.

Es tut gut, ein Album wie dieses nach zweieinhalb Jahrzehnten rauszukramen, sich zu erinnern und mit etwas Glück ein paar Momente von dem Feeling wiederzufinden, das man damals hatte.

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