Deutscher Rap im Jahr 1992: Fremd im eigenen Land, Fanta 4 und Fot#en-Rap

Es ist 1992: Links AC minus Torch, rechts Fanta 4 minus And.Ypsilon

Ich also letzte Nacht so mein Podcast-Game upgesteppt und mir das ALLGOOD #Deutschrap25 Special angehört, in dem Jan Wehn und Visa Vie über die „besten Hip-Hop-Songs der letzten 25 Jahre“ philosophieren. Thema der ersten Folge: Fremd im eigenen Land von Advanced Chemistry aus dem Jahr 1992. Über das Lied selbst, das jeder Ü30-Rap-Fan kennen und seine Meinung dazu haben wird, will ich gar nicht groß was sagen. Ebenso wenig über die Sinnhaftigkeit, Leute über Songs sprechen zu lassen, die sie aufgrund ihres jungen Alters damals nicht gehört haben oder erst seit ein paar Jahren kennen (die Diskussion kam bei Facebook auf). Nein, das ist mir alles herzlich egal. Aber ich hätte nicht gedacht, dass ich 2017 noch einmal die Frage hören würde, ob denn nun die Fantastischen Vier oder Advanced Chemistry „deutschen Rap“ etabliert hätten. Was die beiden ALLGOOD-Hosts darüber denken und ob Fremd im eigenen Land wirklich der Anfang von allem ist, „Deutschraps Urknall“, wie im unfreiwillig komischen Intro behauptet wird (oder war das doch Thomas Gottschalk?), könnt ihr hier nachhören:

Meiner bescheidenen Meinung nach gibt es kaum einen krasseren Äpfel-und-Birnen-Vergleich im Bereich DeutschRap-History als den zwischen AC und Fanta 4. Ich meine, auf der einen Seite haben wir die fröhlichen Stuttgarter in ihren bunten Klamotten und einer Version von Rap jenseits von Message und Inhalt, dafür mit Videos in bester Eurodance-Ästhetik und einem Style, der im Nachhinein eher wie eine Hip-Hop-Parodie wirkt. Auf der anderen Seite die Heidelberger Hip-Hop-Puristen Torch, Toni L und Linguist, die eine wichtige Message im Gepäck hatten, aber dem Durchschnittshörer ca. 165 Prozent zu verkrampft rüberkamen. Ich meine, Shit, sogar der Beat von Fremd im eigenen Land wirkte mit seinem Spiegel-TV-Sample irgendwie ultra-seriös.

Muss man da ernsthaft fragen, welche dieser beiden bis ins Mark verschiedenen Crews hierzulande „Rap etabliert“ hat? Kommt wahrscheinlich drauf an, wie man „Rap“ und „etabliert“ definieren möchte. Ich habe es immer so gehalten: Advanced Chemistry haben Rap gemacht, Die Fantastischen Vier Pop-Rap, und auch wenn es sich hier um einen Unterschied von nur drei Buchstaben handelt, so macht dieser im (damaligen) Hip Hop doch die Welt aus. Was Fanta 4 immer besonders angelastet wurde, war, dass sie sich nie irgendwelche Sporen in der „Szene“ verdient hatten, sondern mit ihrer Musik ohne Umwege in die Charts strebten. Insofern haben sie zwar streng genommen auch keinen Sellout betrieben – welche Hip-Hop-Werte hätten sie ausverkaufen sollen? Aber wer mir erzählen will, die vier Stuttgarter hätten irgendwas für Rap und Hip Hop in Deutschland getan, der soll mir den Fanta-Fan zeigen, für den Rap mehr ist als Die Da, Tag am Meer oder Sie ist weg.

Ich habe auch noch Jetzt geht′s ab (1991) von Fanta Vier im Schrank stehen, ich habe mir die CD damals – wie viele andere Rap-Hörer auch – einfach aus Interesse gekauft, denn Sprechgesang auf Deutsch war anno ’91 etwas nahezu Unvorstellbares. Ich zumindest hatte das Gefühl, reinhören zu müssen, und als einer der ersten Berührungspunkte mit deutschsprachigem Rap hat es einen auch ein Stück weit geprägt. Einen gewissen Kultfaktor kann man den Stuttgartern daher sicher nicht absprechen, auch ich kann noch den einen oder anderen Text von der ersten LP auswendig. Aber ein ernstzunehmendes Rap-Album? So eins haben die Fantastischen Vier nie veröffentlicht. Und genau das ist es wiederum, worauf viele bei Advanced Chemistry nicht klarkamen: Die bis zur Verbissenheit reichende Ernsthaftigkeit, mit der die Heidelberger ihr Ding durchzogen und Hip Hop als Kultur propagierten. Aber wenn jemand 1992 „richtigen“ Rap etabliert (im Sinne von „in die Öffentlichkeit getragen“) hat, dann waren das eben doch AC mit ihrer hochaktuellen Message und dem Hype, den Fremd im eigenen Land nach Torchs Angaben auslöste und der die Heidelberger in die Hörercharts der Radiosender hievte (hier ist der Artikel dazu, auf den auch im Podcast Bezug genommen wird).

So viel dazu. Aber ich kann mich nicht über den Stand von deutschsprachigem Rap anno 1992 auslassen, ohne noch einen kleinen Annex zu liefern für alle, die denken, Fanta 4 und AC hätten den BRD-Rap-Kuchen Anfang der 90er unter sich halbieren können. Das ist natürlich grober Unfug. Ich muss hier und jetzt eine Lanze brechen für die einzigen, die wahren, die echten, aber stets vergessenen Rap-Pioniere aus Deutschland: Das Äi-Tiem aus Köln-Porz. Schon 1991 veröffentlichten Lord Fader und BMX-Freestyle-Weltmeister Hans Solo ihr erstes Vinyl Alles Absicht in Eigenregie auf Holy Chaos Recordings und verteilten die 500 gepressten Exemplare persönlich auf Jams und Konzerten, bevor diese wegen Keilereien abgebrochen werden mussten. Hier ist das gute Stück – Untergrund pur und garantiert niemals in irgendwelchen (Hörer-)Charts aufgetaucht…

Das erste Mal, dass ich vom Äi-Tiem hörte, war 1993 auf der Soundtrax zum Untergang 9III-Compilation, auf der 20 Zoll Mann in einer Live-Version enthalten war, die ich mir auch heute noch regelmäßig gebe, so geil ist sie. 1995 erschien Wenn hier einer schießt, dann bin ich das, für mich das erste Rap-Album aus Deutschland, mit dem ich richtig was anfangen konnte – mit aktualisierten Versionen von Du kannst Nix (= Kleina Wixa) und dem legendären Fot#en Rap, außerdem war Def Benski Obiwahn mittlerweile als Rapper dazugestoßen. Ignorante Texte, prollige Attitüde, Pornofilm-Samples – FotzenRap statt DeutschRap eben, das war das, was ich hören wollte. Ich habe dieses Album geliebt und liebe es noch immer. Das Äi-Tiem war wie die 2 Live Crew auf Deutsch, nur mit mehr Gewalt in den Lyrics (und politische Tracks hatten sie tatsächlich auch noch). Genau die richtige Mischung, um ein Album indizieren zu lassen, und so dürfte Wenn hier einer schießt… kurz nach Release nur noch in einer roten Papphülle mit Ab 18-Label verkauft werden. 10 Jahre, bevor sich die ersten DeutschRapper der Aggro-Generation mit ihren Indizierungen brüsteten, als wären es Goldmedaillen.

„Wenn hier einer schiesst….“ vom Äi-Tiem- vorher und nachher

So, auch das musste ich loswerden. Advanced-Chemistry-Fanta4-Vergleiche kritisieren – check, dabei AC und Fanta 4 vergleichen – check, und am Ende noch das Äi-Tiem als die wahren DeutschRap-Pioniere krönen – check. Grüße gehen raus nach Porz, und der nächste, der die 25 besten Deutschrap-Stücke präsentiert und Fot#en Rap unterschlägt, den jagt Hans Solo mit dem BMX die Klippe runter.

4 Gedanken zu “Deutscher Rap im Jahr 1992: Fremd im eigenen Land, Fanta 4 und Fot#en-Rap

  1. Hi,
    Punk der alten Stunde, langjähriger Weggefährte von Frank muss sagen, genau richtig. Ich mochte die Fantas auch immer. Sie haben halt anders gewirkt und es ausgelebt. Muss man auch können, dürfen, wollen. Advance Chemistry waren mir immer so gefangen, in einer banalen Performance und auch die Texte mochte ich und die waren auch cool, aber nicht rotzig.
    Schön geschrieben.

  2. PS: Zu dem Pionierding: Laut Wikipedia haben die Flowmatics (prä-Hörzu) 1990 ein Tape namens „Gesemmelte Werke“ rausgebracht. Keine Ahnung, ob das Jahr stimmt. Keine Ahnung, ob das deutschsprachigerRap drauf ist, könnte man aber bei dem Titel annehmen. Wäre mal interessant.

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