Das folgende Interview wurde im Jahr 2007 für ein größeres deutschsprachiges Hip-Hop-Magazin verfasst und wieder verworfen. Nach einem Redaktionswechsel fiel das Interview – was nicht unüblich ist – gänzlich unter den Tisch.
Bei Lin Que handelt es sich um Isis vom X-Clan. Sie tritt auch unter dem Alias Godspeed auf. Godspeed hieß dann auch ihr Album, welches im Oktober 2007 erschien und anlässlich dessen Veröffentlichung dieses Interview verfasst wurde.
Unter dem Namen Isis erschien bereits im Jahr 1990 ihr Album Rebel Soul, welches mehr oder weniger ein X-Clan-Album war. Lin Que alias Isis konnte sich jedoch mit Hilfe ihrer großartigen Reimtechnik sehr gut vom X-Clan emanzipieren. Sie verließ den Clan, tauchte im Kino in Spike Lee’s He Got Game und Ted Demme’s Who’s The Man auf, und schloss sich MC Lyte an. Der Wu-Tang-Frauen-Rapgruppe Deadly Venoms konnte sie aufgrund vertraglicher Bindungen nur kurz beitreten. Wie die Venoms hatte Lin Que ein komplettes Album in der Tasche, welches jedoch niemals veröffentlicht wurde. Die Single-Auskopplungen versprachen viel, doch es blieb beim Nichts.
Im Jahr 1990 nahm Lin Que übrigens am Konzert Hip-Hop Against Apartheid im Londoner Wembley-Stadion teil. Das Konzert wurde von Afrika Bambaataa und Gee Street Records anlässlich der Freilassung Nelson Mandelas organisiert. Die Einnahmen flossen dem Afrikanischen Nationalkongress (ANC) zu, welcher 1912 gegründet wurde. Von 1960 bis 1990 war der Kongress per Gesetz verboten. Seit 1994 stellt er die Regierung Südafrikas.
Interview: Sascha Weigelt*
Lin Que, wofür steht dein Name?
Mein Vater ist chinesisch-trinidadischerAbstammung. Mein Name, Lin Que, kommt daher aus dem Chinesischen.
Auf MC Lyte’s Album „Ain’t No Other“ erscheinst Du auf dem Titel „Hard Copy“. Wen sprecht ihr genau mit diesem Titel an?
Ich selbst habe diesen Titel für Lyte geschrieben. Kink E-Z erschien ebenfalls darauf. Zusammen hatten wir drei eine Entertainment-Firma, Duke Da Moon. Lyte meinte, ich solle den Titel für sie schreiben. Wir sind gute Freunde. Also fragte ich mich, weshalb wir nicht alle drei die gleichen sechzehn Zeilen, jeder in seinem eigenen Stil, rappen. Deshalb heißt der Titel ja auch „Hard Copy“. Wie oft kommen Leute auf mich zu, ohne zu wissen, dass wir drei das gleiche rappen!
Dein neues Album heißt „God Speed“. Von welchem Gott redest du?
(lacht) Das ist wirklich eine tolle Frage! Ich bin geborene Katholikin, habe aber mein eigenes Verständnis von Gott. Musikalisch bin ich an dem Punkt angelangt, an welchem ich meinen geistig-spirituellen Durchbruch geschafft habe. Gott hat mich mit seiner Liebe und Kraft für sich vereinnahmt. Dadurch konnte ich meine Vergangenheit aufarbeiten und einen Neunanfang finden. Immerhin hatte ich drei große Plattenverträge in der Tasche, und man bekam nur ein Album von mir zu hören, „Rebel Soul“ als Isis vom X-Clan.
Deine Single „Let It Fall“ war doch aber recht erfolgreich und machte Appetit auf mehr?
Die Single erschien 1995, als Hip Hop eine Metamorphose durchmachte. Mit einem Mal erreichte Hip Hop Multi-Platin-Status. Die Industrie begann Formeln aufzustellen, welche sich für sie rechneten. Ich stand vor der Entscheidung, eine Variable oder einfach nur ich selbst zu sein. Das war keine leichte Entscheidung, denn ich liebe es, Texte zu schreiben und Musik zu produzieren. Auf der anderen Seite bin ich nicht der Mensch, welcher über Geld und Nutten reden kann. Das wäre das genaue Gegenteil von dem, was ich über Hip Hop kennen gelernt habe. (lacht)
Auf der einen Seite warst Du bei Blackwatch und X-Clan aktiv, auf der anderen Seite sprichst du von Gottes Liebe. Das passt doch irgendwie nicht zusammen.
Wenn man die Sachen genauer betrachtet, haben sich Blackwatch und X-Clan in den späten Achtzigern und frühen Neunzigern abgespielt. Die Schwarzen in den USA und ganz besonders in New York begannen, ein Bewusstsein zu entwickeln. Diese Bewegung war für uns Schwarze und für Hip Hop gleichermaßen von Bedeutung. Die Leute begannen zu begreifen, dass Hip Hop sich finanziell für sie auszahlen könnte. Jungen MC’s standen innerhalb der Musikindustrie viele Tore offen. Allerdings waren nicht allzu viele Schwarze unter ihnen. Schwarz zu sein war einfach nicht fetzig genug. Als ich das erste Mal Professor X traf, waren wir im Studio mit Afrika Bambataa und Grand Puba. Mein damaliger Manager war sich nicht mehr sicher, ob er mich noch weiter nach voranbringen kann, weshalb er mich Professor X vorstellte. Dieser mochte wie ich rappte und erzählte mir vom X-Clan. Sie widmeten sich der Ägyptologie, lehrten schwarzen Jugendlichen ihre Geschichte und halfen, ein neues Selbstbewusstsein zu entwickeln. Ich kam vom traditionellen Hip Hop, egoistischen Reimen und Battles. Plötzlich bekam ich eine ganz neue Wertschätzung und konnte mit meinen Texten anderen Menschen zur Erkenntnis verhelfen.
Nachdem ich zwei Jahre bei Blackwatch und X-Clan war, wollte ich dann wieder zurück zu meinem Ursprung. Schließlich liebe ich Hip Hop über alles! Ich sah es als meine Aufgabe an, Hip Hop zu seinen Wurzeln zurückzuführen. Hip Hop drohte zu Pop zu verkommen, wobei zwischen Pop von damals und heute auch wieder Welten liegen. Damals gab es zum Beispiel Michael Jackson. Egal, was für eine große Geldmaschinerie dahinter stand, es steckte auch viel Talent dahinter. Heutiger Pop hat kaum noch Substanz. Jedenfalls bekam man von meinem Hip-Hop-Album nur einen einzigen Titel zu hören, „Let It Fall“. Dieser Titel spiegelte nicht im Geringsten den wahren Inhalt meines Albums wieder. Auf dem Album gab es zum Beispiel den Titel „You Can Get Popped Too“. Dieser Titel erzählt von einem Streit zwischen zwei Mädchen, einem aus Queens und dem anderen aus Brooklyn. Damals war alles sehr territorial, Ostküste, Westküste, Queens, Bronx, Brooklyn… Letztendlich hätte aber jeder von uns erschossen werden können, egal, wo er sich gerade aufhielt. Auf „There Must Be An Angel By Your Side“ werde ich von einem Dieb verfolgt und erschossen. Meine Seele erzählt die Geschichte zu Ende. Leider wollten die Plattenfirmen nur den kommerziellen Erfolg sehen, weshalb sie „Let It Fall“ aufnahmen. Ironischerweise hatte diese Single Erfolg, obwohl ich darauf die Plattenfirmen, welche mich nicht verstehen wollten, ins Visier nahm. Mit einem Mal wurde ich auch nur noch auf „Let It Fall“ reduziert und die Fans dachten, das wäre alles, was ich zu bieten habe. Ich meine, es ist als würde ich über meine „Pinky“ rappen, und alle glauben, damit hätten sie mein ganzes Wesen kennengelernt. Auf meinem neuen Album kann ich mich endlich als diejenige präsentieren, die ich wirklich bin, 360 Grad Lin Que.
https://www.youtube.com/watch?v=NpwyeZJya4I
Was wurde aus Duke Da Moon mit MC Lyte und Kinky E-Z?
Lyte und ich, wir hatten ein Brainstorming, weil Kinky die Firma verlassen hatte. Wir gründeten eine neue Firma. Durch meinen Plattenvertrag wurde aber auch diese wieder geschlossen. Mit dem Plattenvertrag sollte ich dann auch wieder nur Pech haben. Dabei ging es mir gar nicht um das viele Geld, welches ich von der Plattenfirma vorgeschossen bekam, sondern darum, von ihr ernst genommen zu werden.
Auf deinem letzten Album „God Speed“ findet man den Titel „Hip Hop Holy War“. Hatte es eine Bedeutung für Hip Hop, dass Common zur gleichen Zeit auf Platz 1 der Billboard-Charts war?
Ereignisse wie dieses sind kleine Schritte in die richtige Richtung. The Roots haben einen Grammy gewonnen, Outkast landeten auf Platz 1. Kanye West darf man genauso wenig vergessen wie Talib Kweli, Jean Grae, Bahamadia oder Lady Of Rage. Versteh mich bitte nicht falsch! Nichts spricht gegen kommerziellen Hip Hop. Allerdings wurden diese Platten veröffentlicht, um damit Geld zu verdienen. Egal, wie sehr man an seinem Künstlerdasein hängt, das Geschäft kann man nicht ausblenden. Mir fehlt jedoch der Ausgleich zwischen beidem. Die Fans haben gar nicht mehr die Wahl zwischen Hip Hop und Kommerz. Man kann nicht den ganzen Tag Kuchen essen. Irgendwann braucht der Mensch auch einmal eine anständige Mahlzeit. Diese Mahlzeiten sind eben Common, Kweli oder The Roots.
Weshalb möchte heutzutage jedermann rappen, wenn wir soviel Kuchen und so wenige Hauptspeisen haben?
Es geht um Geld. Als ich zu Hip Hop kam, rappten die Leute, weil sie es liebten, zu rappen. Respekt bekam man dafür, sich von der Masse abzuheben und einen eigenen Stil zu besitzen. Irgendwann trennten sich die Wege von Hip Hop und Rap. Als ich jünger war, waren Hip Hop und Rap noch das gleiche. Heute dreht sich Rapmusik meiner Meinung nach nur noch um Geld, während Hip Hop an der Kunstform festhält. Heute verdient man schon mit den billigsten Kopien Millionen von Dollar. Viele von den jungen Künstlern sind sich selbst gar nicht mehr sicher, ob das, was sie machen, überhaupt noch etwas mit Hip Hop zu tun hat. Weshalb sind Dana Dane, Queen Latifah, Big Daddy Kane, Slick Rick oder Audio Two heute noch bekannt? MC’s bekamen in ihrer Zeit Respekt für das, was sie machten, weil es verdammt schwer war, sich von der Masse abzuheben. Heute kopiert man einen Stil, nimmt einen alten Hit neu auf und landet auf diese Weise einen neuen Hit. Ich nenne diese Zeit die „Copycat Era“
Gelingt es dir, das Publikum für dich zu begeistern?
Mich interessieren zunächst einmal die Jugendlichen auf der Straße. Ich musste ihre Sprache lernen. Wie kann ich ansonsten den Typen mit der Waffe in der Hose dazu bringen, aus Titeln wie „There Must Be An Angel By Your Side“ zu lernen?
Viele versuchen, sich wie Gangster zu verhalten und die Straßen zu verkaufen. Willst du dich in dieses Theater mit einreihen?
Natürlich, weil ich damit aufgewachsen bin! Die Straßen bringen nicht nur Gangster hervor. Auf der Straße hat man unweigerlich auch Gangster als Freunde. Das muss nicht heißen, dass man selbst ein Gangster ist. „Hip Hop Holy War“ von meinem letzten Album beschäftigt sich mit diesem Thema, Hip Hop als Gegenteil von Rap. Dabei erschießen sich Rapper und MC’s nicht gegenseitig, sondern respektieren einander. Sie wählen ihre Seite aus und gehen ihren Weg. Nicht umsonst gibt es kommerzielle Rapmusik. Sie wird Hip Hop dabei helfen, wieder in den Vordergrund zu treten. Ich spüre, dass es eines Tages soweit kommen wird. Nicht umsonst sind DJ Red Alert und Chuck Chillout wieder auf Sendung in New York.
Nimm Busy Bee und seine Sexszene in „Wild Style“ oder Double Trouble in weißen Anzügen mit Gewehrattrappen. Der Weg, den Hip Hop gegangen ist, war vorgezeichnet. Heute jammern dieselben Leute über diese Entwicklung…
Es waren nicht nur die MC’s, welche Schuld an der Entwicklung haben. Mehrere Dinge haben hinein gespielt wie DJ’s und Plattenfirmen. Wir haben Redefreiheit! Allerdings würde ich mir wünschen, dass es mehr Abwechslung und Vielseitigkeit in dem gibt, worüber die Rapper schreiben. Schließlich kenne ich Gangster und weiß, wie sehr sie ihre Großmütter und Ehefrauen lieben. Warum bekommen wir das nicht zu hören?
Bist du heute noch in Organisationen wie Blackwatch aktiv?
Melle Mel, L.A. Sunshine und Kool Moe Dee von Treacherous 3, Rodney C von Double Trouble, Mighty Mike C von Fearless 4, Joe Conzo, den man ersten Hip Hop-Fotografen nennt, und ich, wir gründeten eine Konferenz, mit welcher wir von College zu College ziehen und Unterricht in Hip Hop geben. Dabei öffnen wir den Jugendlichen nicht nur neue Horizonte, sondern erweitern gleichzeitig auch unsere. Wenn wir uns sonntags zur Unterrichtsvorbereitung treffen, kommt soviel Unglaubliches aus den allerersten Stunden des Hip Hop zum Vorschein.
Möchtest du vielleicht abschließend den Nachwuchs motivieren, sich wieder intensiver mit Hip Hop zu beschäftigen?
Talent bedeutet nicht mehr viel, weshalb man ein starkes Selbstbewusstsein braucht, um sich musikalisch weiterzuentwickeln. Die Musikindustrie hilft Dir dabei nicht weiter. Künstler unterschreiben Plattenverträge auf der Suche nach Erfolg. Was folgt, ist kein Spaß, sondern echte Schinderei. Ist man erst einmal an der Spitze, bleibt keine Zeit, sich auszuruhen. Die Schinderei geht immer weiter und weiter.
*Sascha Weigelt aus Stralsund ist seit 1991 im Hip Hop aktiv. Von 1992 bis 1996 veröffentlichte er das Magazin YARD, bevor er die Arbeit für MK Zwo, Juice und Backspin aufnahm. Seine Artikel finden sich aber auch auf rap.de und aightgenossen.ch oder im englischen Undercover-Magazin. Für den Rap-Pionier Joke Star stand er als DJ an den Plattentellern und veröffentlicht sporadisch Mixtapes mit wechselnden Gästen, welche man auf www.mixcloud.com/piratenfunk anhören kann.