Einen guten MC erkennt man nicht an an der Anzahl von sich reimenden Silben in einer Zeile. Nicht an der Schnelligkeit seines Flows und nicht an irgendwelchen Reimtechniken. Nein, ein guter MC transportiert Gefühle. Atmosphäre. Stimmungen. Ein guter MC lässt dich für eine gewisse Dauer in seine eigene Welt eintauchen und dich durch seine Augen blicken, das sehen, was er sieht, das fühlen, was er fühlt. Prodigy von Mobb Deep gehörte zu dieser immer schon raren Spezies des guten MCs.
Zusammen mit Kumpel Havoc war Prodigy zunächst unter dem Namen Poetical Prophets unterwegs, junge Rapper im Teenageralter, die ihre ersten Rap-Gehversuche auf Kassette aufnahmen und als Demo unters Volk brachten. 1993 kam ihr erstes Album als Mobb Deep heraus: Juvenile Hell, heute geschätzter Erstling einer legendären Crew, damals ein Flop, trotz Beteiligung von Leuten wie DJ Premier und Large Professor. Dass die beiden Jungs nur zwei Jahre später mit etwas an den Start gehen sollten, das für viele das beste Rap-Album einer ganzen Dekade werden würde, hätte ’93 niemand gedacht. Doch 1995 war es soweit: The Infamous erschien. Es war das perfekte Album eines Duos mit perfekter Chemie, die Single Shook Ones Pt. II war fortan das Synonym für Hardcore-Rap von den Straßen New York Citys. Prodigys Zeilen „I got you stuck off the realness, we be the infamous / you heard of us, official Queensbridge murderers“ sind der vielleicht beste Opener aller Zeiten, und aus kaum einer anderen Strophe wurden bis heute mehr Vocal-Cuts herausgefiltert als aus diesem Meisterstück. Der Einfluss dieses Stückes auf Rap-Künstler weltweit war unermesslich.
Prodigy war gerade 19 Jahre alt, als er die Zeilen für Shook Ones Pt. II beziehungsweise The Infamous schrieb. Und schon zu dieser Zeit war er ein MC mit all den Merkmalen, wie ich sie eingangs beschrieben habe. Seine eiskalte Delivery, die durch seine Stimmlage perfekt unterstützt wurde, ließ einen an den Dingen teilhaben, von denen er berichtete – weit weg von den Sorgen und Nöten, die die jungen Menschen an einem Ort wie den Queensbridge Housing Projects umtrieben, erhielt man als Hörer Zugang zu dieser fremden Welt, in der jeder falsche Move dein Ende bedeuten konnte.
Wer gedacht hatte, dass ein Album nicht finsterer und bedrohlicher rüberkommen kann als The Infamous, den belehrten Mobb Deep mit ihrem Nachfolger Hell On Earth eines besseren. Beats und Lyrics wurden dem Albumtitel mehr als gerecht, und vor allem war den beiden das Kunststück gelungen, nur ein Jahr nach ihrem Magnum Opus einen Longplayer zu releasen, der vielleicht nicht den Klassikerstatus des Vorgängers toppen konnte, aber – selbst in den Augen der Kritiker – nicht schlechter war als sein Vorgänger. Zudem wird Prodigys Verse auf dem Track Apostle’s Warning oft als sein bester Part jemals gehandelt – ein keinesfalls abwegiger Gedanke, denn nachdem Havoc eine gute halbe Minute am Mic vorgelegt hat, steigert sich P hier über zwei Minuten in einen lyrischen Rausch hinein, der seinesgleichen sucht.
Eine von Ps weiteren Bestleistungen war kein Mobb-Track, sondern fand sich als Gastpart auf dem Remix des Tracks I Shot Ya (1995) von LL Cool J. Die Zeile „Illuminati want my mind, soul and my body, secret society tryin‘ to keep their eye on me“ hat mehr nachfolgende Rap-Generationen inspiriert als die gesamte Diskographie manch eines anderen Künstlers.
Auf Hell On Earth folgte Murda Muzik (1999), das kommerziell erfolgreichste Mobb-Album. Ein Jahr später releaste Prodigy dann mit H.N.I.C. seine erste LP im Alleingang. Bei allen die dachten, P könnte solo nichts reißen, machte die Kinnlade spätestens bei dem von Alchemist produzierten Keep It Thoro einen Abgang Richtung Süden. Der Beat gehört zum besten Material, das der anerkannte Producer je rausgehauen hat und wirkte wie maßgeschneidert für Prodigy. Dies war zugleich der Beginn einer wundervollen Geschichte von gelungenen Kollabos zwischen den beiden – man denke nur an den Hit Hold You Down (2004).
Nach H.N.I.C. kam 2001 das neue Album Infamy von Mobb Deep raus. Es war nicht nur ihr letztes Werk auf dem Label Loud, das seit The Infamous ihre Heimat bildete, sondern auch ihr letztes wirklich erfolgreiches Album. Weder mit Amerikaz Nightmare (2004) noch mit Blood Money (2006) konnten sie bei den Kritikern und Käufern wirklich punkten, beide Alben floppten. Aber wer Prodigy zu diesem Zeitpunkt schon abgeschrieben hatte, der war zu früh dran. 2007 erschien sein Solo Return Of The Mac, für das er sich wieder The Alchemist ins Studio geholt hatte. Die paranoia- und drogengeschwängerten Lyrics der Single Mac 10 Handle mit Geto-Boys-Hommage in der Hook wies all jene in die Schranken, die dachten, der Mobb-MC hätte über die Jahre auch nur ein Fünkchen seiner Intensität und Härte eingebüßt.
Es folgten weitere Solo- und Kollabo-Alben, von denen für mich insbesondere Albert Einstein von 2013 herausstach, auch dieses wieder mit Unterstützung von The Alchemist aufgenommen. Sein neuestes, mittlerweile achtes Album The Hegelian Dialectic erschien im Januar dieses Jahres, in seinen letzten Interviews stellte Prodigy auch neue Musik von ihm und Partner Havoc in Aussicht. Stattdessen endete die Geschichte eines der bedeutendsten und einflussreichsten MCs aller Zeiten gestern, am 20. Juni 2017, in einem Krankenhausbett in Las Vegas. Den Track Give’Em Hell von Albert Einstein hatte er wieder mit einem seiner denkwürdigen Einstiege eröffnet: Global state of mind, I’m seein‘ far beyond my nose – 10 years from now I’ll still be around, spittin‘ my flows… dies war ihm leider nicht vergönnt.
Ruhe in Frieden, Prodigy. Danke für die Einblicke, den Einfluss und die Musik.
Danke!
Hätte es nicht besser schreiben können!
Word! Hammer Artikel – den ich nochmals in Ruhe lesen werde.
Danke euch.