Die Stiebers kennen 1000 MCs, Curse kennt 10 Rap Gesetze und der Journalist und Autor Cihan Acar kennt 111 Gründe, Hip Hop zu lieben – so lautet der Titel seines neuen Buches, das kürzlich bei Schwarzkopf & Schwarzkopf erschienen ist und von dem mir freundlicherweise ein Rezensionsexemplar überlassen wurde.
Zunächst mal zu den kalten, harten Fakten: Das Buch hat 357 Seiten und ist unterteilt in 18 Kapitel, die sich vom Beginn der Hip-Hop-Kultur (und den historischen Wurzeln in fernster Vergangenheit) über die Goldene Ära bis hin zur aktuellen Entwicklung inklusive des derzeitigen Deutschrap-Hypes schlängeln. Statt eines strikt chronologischen Aufbaus wählt Cihan Acar eine andere Herangehensweise: Er pickt einzelne Künstler und Kunstformen aus der Geschichte heraus und widmet diesen jeweils drei bis vier Seiten, dann geht es weiter zum nächsten Grund, Hip Hop zu lieben. Aber was für Gründe sind das eigentlich? Hier ein paar Beispiele: Weil in der Sedgwick Avenue zusammenkam, was zusammengehörte. Weil Breakdance als Kampfersatz begann. Weil Rakim der God MC ist. Weil deutscher Hip Hop zunächst Englisch sprach. Weil Graffiti niemals aussterben wird. Weil Taktloss der Tighteste ist. Auch einiger verstorbener Hip-Hop-Legenden wird gedacht, seien es Biggie und 2Pac (in einem eigenen Kapitel), seien es OZ aus Hamburg oder Maxim aus Berlin. Und auch wenn das Hauptaugenmerk auf der Musik liegt, kommen weder B-Boying noch Graffiti zu kurz.
Das Konzept mag auf den ersten Blick etwas zusammenhanglos klingen, tatsächlich aber gelingt es dem Autor, durch die Darstellungsform ein erheblich interessanteres und zugänglicheres Werk zu schaffen, als viele seiner Kollegen. Genres werden erläutert, Zusammenhänge verdeutlicht, und statt nur den Werdegang wichtiger Protagonisten der Szene steril wiederzugeben, greift Acar lieber auf Anekdoten und prägende Ereignisse zurück (z.B. die Trennung von N.W.A, die Schüsse auf 2Pac vor den Quad-Studios, das schwierige Verhältnis von Phife Dawg und Q-Tip von ATCQ). So kann man das Buch entweder von vorne bis hinten durchlesen oder einfach wahllos ein Kapitel aufschlagen, um sich einige in unterhaltsamer Form aufbereitete Infos zu verschaffen. Das Wissen wird zudem nicht im luftleeren Raum präsentiert, sondern durch mehr als 300 Fußnoten mit Quellenangaben belegt.
111 Gründe, Hip Hop zu lieben erhebt sicherlich nicht den Anspruch, ein abschließendes Nachschlagewerk für Hip-Hop-Historiker zu sein, sondern funktioniert eher als eine kompakte Sammlung von Fakten und Stories, die dem – wie wir alle wissen – nicht unbedingt durch Kompetenz oder Respekt geprägten Umgang mit Hip Hop in den Medien und der Öffentlichkeit entgegenwirken will. Doch auch der Unterhaltungsfaktor ist hoch – fundiertes Infotainment im besten Sinne, so würde ich das Buch in aller Kürze umschreiben.
Dem Autor (Jahrgang 1986) merkt man seine ehrliche Begeisterung für die Hip-Hop-Kultur mit jeder Zeile an. Klar, der mitunter subjektive Einschlag des Buches führt zwangsläufig dazu, dass man nicht mit jeder Schlussfolgerung oder Meinung einverstanden ist, auch wird dem einen oder anderen nicht jeder exemplarisch ausgewählte Künstler gefallen – aber das macht überhaupt nichts, denn dank des breiten Spektrums findet hier trotzdem jeder etwas passendes. Insbesondere dürfte sich der eine oder andere Leser nach der Lektüre motiviert fühlen, selbst ein bißchen Hintergrundforschung zu betreiben, die Quellenangaben sind eine wahre Goldgrube für Interessierte.
Mir persönlich gefällt die Machart des Buches sehr gut, ähnelt sie doch dem, was ich und andere Zeitgenossen in virtueller Form veranstalten. Dass ich die im Buch niedergeschriebenen Stories oft schon kannte, hat dem Spaß beim Lesen keinen Abbruch getan. Deshalb kann ich das Buch auch jedem Hip-Hop-Fan guten Gewissens empfehlen, ganz egal, ob ihr hängengebliebene Experten, interessierte Neulinge oder irgendwas dazwischen seid.
111 Gründe, Hip Hop zu lieben von Cihan Acar ist als Taschenbuch für 9,99 € überall im Buchhandel erhältlich, mehr Infos gibt es auf der Verlagsseite.