Kommentar zum Noisey-Artikel „Eine kurze Schweigeminute für Hip Hop, bitte“

Nas - HHID 1000Perfektes Timing, ich sitze gerade mit einer dicken Erkältung zuhause, da kommt mir doch glatt wieder ein Artikel unter die Augen, den es sich lohnt, zu kommentieren.

Die Rede ist von Eine kurze Schweigeminute für HipHop, bitte, den Juri Sternburg für Noisey verfasst hat. Auslöser war die Coverversion von Füchse, die LGoony und Zugezogen Maskulin letztens ins Netz gestellt haben, und die sowohl bei Beginner-Fans als auch bei vielen der alten Zeit verpflichteten Heads Empörungsstürme ausgelöst hatte, wie man in den Kommentaren auf den entsprechenden Plattformen nachlesen kann. Juri Sternburg geht das jedenfalls gehörig auf den Sack. Er greift die Kritiker scharf an und schreibt von krampfhaftem Festhalten an überkommenen Idealen, von bildungsbürgerlichen Sichtweisen und versucht, „Rap-Nostalgiker“ (O-Ton) am Stück weg zu verarschen.

Gleich vorweg: Ich fand das Füchse-Remake nicht dolle, verstehe aber auch die ganze Aufregung nicht so wirklich. Das gilt einerseits für eine Vielzahl der negativen Kommentare, die im Prinzip schon die Tatsache verteufeln, dass sich ein paar „Neue“ hier überhaupt an einen Klassiker gewagt haben (und dann auch noch Autotune benutzen). Andererseits ist auch das Rumgeheule über besagte Kommentare und die Hochstilisierung zum Rap-Generationenkonflikt vollkommen überflüssig. Denn dass das Remake eines Klassikers wie Füchse von „neumodischen“ Rappern viele negative Reaktionen hervorrufen wird, dürfte eigentlich völlig klar gewesen sein, vielleicht sogar ein Stück weit kalkuliert. Heute kann halt jeder zu allem öffentlichkeitswirksam seine Meinung abgeben, damit muss man leben. Und auch wenn der Noisey-Verfasser nicht einverstanden ist, selbstverständlich kann man das Füchse-Remake schlecht finden, ohne dem vor Klischees triefenden Bild zu entsprechen, das der Autor in seinem Artikel von den Kritikern des Tracks zeichnet.

Denn da liegt das Problem des Noisey-Beitrags, in der extrem nervigen Klischeebeladenheit. Der Text liest sich, als wäre jeder „Rap-Nostalgiker“ ein verkrampfter Vollhorst, der anfängt zu weinen, wenn jemand Blumentopf oder Freundeskreis kacke findet, der Problemviertel in Deutschland negiert, aber draußen lieber auf den Boden guckt, wenn sich deren Bewohner nähern und der bei jeder sich bietenden Gelegenheit laut „Hip Hop!“ ruft, ohne es je gewesen zu sein. RnB-Türken dürfen dann natürlich genauso wenig fehlen wie arrogante Rap-Studenten, die stets bemühte Rucksack-Rhetorik und „Hip Hop ist tot“-Blödsinn. Man merkt, dass der Autor Spaß hatte, mal so richtig draufzuhauen, aber allein die Tatsache, dass den Artikel ein Titelbild der Fantastischen Vier ziert lässt fraglich erscheinen, über welche Art von Hip Hop (-Fans) wir hier überhaupt reden.

Das eigentlich Erstaunliche aber ist, dass der Autor mit Teilen seines Beitrags gar nicht so unrecht hat, wenn man sich die Grundthesen zwischen dem Oldschooler-Bashing ansieht. Zum Beispiel die Kritik an der Unsitte, alles deutschsprachige, was entfernt nach Gangsta-Rap klingt, mit Begründungen wie „in Deutschland gibt es keine Ghettos“ abzulehnen. Das fand ich persönlich auch immer außerordentlich schwachsinnig. Gerade dann, wenn man früher N.W.A, die Geto Boys und/oder anderen Straßen- und Gangsta-Shit aus den USA gefeiert hat. Das war mit ein paar tausend Kilometern halt immer schön weit weg, aber wenn hier drei Blocks weiter einer anfängt davon zu rappen, wie er sein Messer zückt und dich abzieht (was dir theoretisch eher passieren kann, als von einem Crip beim Drive-By-Shooting getötet zu werden), dann ist das plötzlich fake und inakzeptabel (und vor allem viel zu dicht an der eigenen Haustür). Warum da mit zweierlei Maß gemessen wird, weiß ich nicht, für mich persönlich galt und gilt für die Sachen aus Übersee dasselbe wie für „Deutschrap“: Was in meinen Ohren authentisch klingt, das mag ich, und davon gibt es meines Erachtens auch hierzulande genug.

Und auch die anfangs angesprochene Tendenz in den Negativkommentaren zum Füchse-Cover bestätigt eine Ansicht des Noisey-Autors: Es gibt scheinbar tatsächlich die Leute, die sich einfach nichts schlimmeres vorstellen können, als dass einer aus der neuen Rap-Generation ankommt, sich an einem Konsens-Klassiker von früher zu schaffen macht und dabei auch noch den verhassten modernen Ami-Style bitet (statt wie früher den guten alten Ami-Style zu biten). Was ist daran so schlimm? Okay, ich gebe zu, dass Füchse nie ein Lieblingslied von mir war. Vielleicht würde es mich mehr treffen, wenn es nicht der Beginner-Track, sondern Süße Maus von Feinkost Paranoia gewesen wäre. Aber würde mich die Tatsache, dass hier überhaupt ein Remake von Wemauchimmer aufgenommen wurde, irgendwie abfucken? Versaut mir die Coverversion nachträglich die guten Erinnerungen an früher, die ich mit dem Original verbinde? Wird das Original irgendwie schlechter dadurch, dass es 15 oder 20 Jahre später von irgendjemandem neu interpretiert wird? Nein, um es mit diesem Cloud-Rapper aus Wien zu sagen. Also warum die Aufregung?

Manchmal klingt es so, als hätten einige dieser Fans, die sich jetzt echauffieren, schon um die Jahrtausendwende mit dem Rap-Hören Schluss gemacht. Vielleicht haben diese Leute Stillstand erwartet und sind entsprechend geschockt, 15 Jahre später festzustellen, dass sich ihre geliebte Mucke von früher doch tatsächlich weiterentwickelt hat. Und dass Fortschritt vor allem den alten Füchsen Hasen nicht immer gefällt, das liegt in der Natur der Sache. Vielleicht gibt es tatsächlich Leute, die genau dem krampfigen Klischee entsprechen, das uns der Noisey-Artikel da weismachen will. Vielleicht tragen diese Leute auch die Schuld daran, dass sich hierzulande ernsthaft Rapper vom Begriff „Hip Hop“ distanzieren, so hohl das auch klingen mag. Ich kenne solche Leute nicht. Alle mir bekannten hängengebliebenen Hip-Hop-Heads, die ich noch als echte Rap-Fanatiker bezeichnen würde, sind auch heute nicht zu faul, sich aus dem Überangebot die Perlen rauszupicken, und ich rede nicht von irgendwelchen BoomBap-Revival-Kopien, die 1:1 klingen wie damals. Auch ich selber verfahre strikt nach dem Credo: Was mir gefällt, das höre ich auch, egal von wem es ist (so lange es nicht die Black Eyed Peas sind… scheiß auf die Black Eyed Peas).

Und um noch einmal auf das Füchse-Cover zurückzukommen: Darf man es scheiße finden? Selbstverständlich, schon wegen Zugezogen Maskulin aka der K.I.Z.-Klon, den keiner braucht. Aber dass neue Künstler altes Material aufarbeiten, dagegen ist nichts einzuwenden. Klar hätten auch Digger Dance und Mr. Schnabel das Ding covern können, dann hätte die altgediente Fangemeinde vor Freude gejauchzt, der soundmäßige Unterschied wäre marginal gewesen und die U30-Generation hätte nicht mitbekommen, dass überhaupt irgendwas passiert ist. Dann doch lieber so, dass man als Blogger/Autor/Musikliebhaber/Fan ausgiebig seine Ansichten zum Thema breittreten kann.

In diesem Sinne: Ich hoffe, ich hab’s mir nicht mit meiner kompletten Leserschaft verscherzt, aber so sehe ich die Kiste halt. Nichtsdestotrotz wird es hier im Blog genau so rückwärtsgewandt und ewiggestrig weitergehen wie gewohnt. Denn früher war doch sowieso alles besser, nicht wahr?

6 Gedanken zu “Kommentar zum Noisey-Artikel „Eine kurze Schweigeminute für Hip Hop, bitte“

  1. Gab es nicht auch schon um das Böhmermann/Dende-Medley neulich so ein Mimimi, wer nun alles da fehlt und nicht reingehört usw…?
    Vielleicht sind das Begleiterscheinungen des Generationenbruchs – wir ollen 90er-Kids haben es nun wirklich damit zu tun, dass die jüngeren Hörer_innen von heute in den Jahren, in denen unsere Knallertracks rauskamen, geboren wurden. Unser Krempel bedeutet Ihnen aus gutem Grund erstmal überhaupt nix und sie verstehen auch nicht, was uns daran heilig ist. Wir „Hängengebliebenen“ müssen uns nun erstmal selbst darüber verständigen wie wir das finden und damit klarkommen. Und vielleicht reflektieren die Kommentare, Artikel etc. genau diesen Aushandlungsprozess?

    1. Da ist was dran. Man kann es sich als Raphörer „von früher“ ja relativ bequem machen und den ganzen neumodischen Kram einfach ignorieren. Reibungspunkte entstehen dann, wenn wie hier ein Klassiker im neuen Gewand aufgelegt wird. Wie gesagt, ich hätte wahrscheinlich auch anders reagiert, wenn es einer von „meinen“ Klassikern gewesen wäre, aber die Krokodilstränen hätte ich mir gerade noch verkneifen können. Wie sich der von Dir angesprochene Aushandlungsprozess so gestalten wird, ist auf jeden Fall eine gute Frage… wenn man sich die verlinkten Kommentare unter dem Füchse-Cover ansieht, dann geht der breite Konsens derzeit wohl in Richtung Blasphemie, Schande für Deutschrap, Schande für Hip Hop, Untergang des Abendlandes. Vielleicht haben die Leute, die die Sache gechillter sehen, auch einfach keine Lust, einen Kommentar dazu abzugeben. Es melden sich ja meistens eher die, die was zu meckern haben.

      1. …das letzte stimmt sicherlich. Wahrscheinlich verzerrt der Internetfilter da die Wahrnehmung… und es ist ja auch Neuland für uns alte Säcke.

        Es ist halt schade dass es kaum verlässliche Mediennutzungsstudien gibt; wäre ja z.B. interessant welche Altersgruppen Retrogott/Huss+Hodn hören, die ja meines Erachtens nach vor allem „unsere“ (? ähä…) Generation ansprechen: 90er Beats, Selbstironie, teilweise KKS-Flashbacks (sorry Kurt, aber „jetzt schämst du Dich“…).
        Oder spannend wäre ja auch, das ganze mal nach sozialer Schichtung, Bildungsgrad etc. aufgedröselt zu bekommen. Wer schreibt den DFG-Antrag? Oder robbt die bank für das ca$h…?

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