Podcast „Deutschrap 25“: der gescheiterte Versuch, uns deutsche Rap-Klassiker erklären zu wollen

Im Rahmen des Podcasts Deutschrap 25 auf Red Bull Radio diskutieren die Moderatorin Visa Vie (ehemals 16bars.de) und der Journalist Jan Wehn (ALL GOOD) die 25 besten bzw. wichtigsten Deutschrap-Tracks seit 1992, die für ihr jeweiliges Erscheinungsjahr prägend waren. Die erste Folge hatte ich ja zum Anlass genommen, etwas über den Vergleich zwischen Fanta4 und Advanced Chemistry zu schreiben. Jetzt sind die ersten neun Folgen (1992 bis 2000) durch und ich habe sie mir noch einmal alle angehört, um mir bequem vor dem Bildschirm sitzend das Maul zu jeder einzelnen Episode zerreißen zu können. Herausgekommen ist ein Teil Meinung zum Podcast, ein Teil persönlicher Geschmack und ein Teil Musik, denn ich habe mir erlaubt, die jeweils besprochenen Tracks zu posten, da diese in den Podcasts nicht zu hören waren. Viel Spaß… oder auch nicht.

1992: Advanced Chemistry – Fremd im eigenen Land

Sowohl Jan Wehn als auch Visa Vie geben unumwunden zu, Fremd im eigenen Land erst lange nach dem Erscheinungsjahr gehört zu haben, da sie 1992 schlicht zu jung waren, etwas davon mitzukriegen. Alter hin oder her, es hat den Anschein, als hätten sich die beiden auch im Vorfeld des Podcasts nicht allzu tiefgehend mit dem Thema ihrer Sendung auseinandergesetzt. Visa Vie äußert sich bis auf ein paar Oberflächlichkeiten eigentlich gar nicht, und alles, was Jan Wehn zum Song erzählt, kann man fast wortwörtlich in diesem Artikel nachlesen, der 2012 für das Magazin der Freitag geschrieben wurde. Vielleicht hätte lieber jemand Torch einfliegen lassen sollen, der hätte sicher Erhellenderes berichten können.


1993: Too Strong – Rabenschwarze Nacht

Auch Folge 2 legt einen Bombenstart hin mit der Feststellung beider Hosts, dass sie „0,0 Berührungspunkte“ (Visa Vie) mit dem besprochenen Track haben bzw. ihn erst seit dem MP3-Zeitalter kennen (Jan Wehn). Zur teilweisen Rettung meiner wertvollen Zeit kommt Pure Doze dazu, der per Sprachnachricht die Geschichte von Rabenschwarze Nacht erzählt. Die beiden Hosts zeigen sich vor allem von seiner sexy Stimme beeindruckt… okay. Das Sprachsample aus dem Intro von Rabenschwarze Nacht ordnet Jan Wehn noch korrekt dem Stallone-Film City Cobra (1986) zu, nur um im Anschluss mit Anlauf auf das gesamte Actionkino der 80er Jahre und meine Jugend zu kacken, indem er behauptet, Kurt Russell hätte die Hauptrolle gespielt. Und weil Visa Vie – wie nach ihrem Eingangsstatement erwartet – nichts beizutragen hat, erzählt sie uns, dass es Silo Nation und nicht Sido Nation heißt. Manchmal ist Schweigen doch Gold.


1994: Konkret Finn – Ich diss dich

Man fühlt sich wieder direkt wie zuhause, denn auf das uninspirierte Intro-Gesabbel folgt postwendend die Anmerkung, keinen Bezug zum Song zu haben. Visa Vie findet den Text dieses Battle-Rap-Prototypen von Konkret Finn ohnehin zum Schmunzeln und die Vergleiche „eher ein bisschen lustig“ und nicht so „cool“ wie Battle-Lyrics heutzutage, Jan Wehn versteht das. Eher unverständlich: Statt über das wunderschöne Wort Fotzenlegga zu debattieren, hätte man ja auch mal über Konkret Finn reden können. Damit meine ich nicht Tones ausführlich beleuchtete Tätigkeit als Hundesitter, sondern was die anderen beiden Member Iz und DJ Feedback so treiben. Stattdessen werden wir mit dem Rechercheergebnis konfrontiert, dass das Vocal-Sample „Verpiss dich“ aus er Serie Motzki stammt – Wikipedia lässt grüßen.


1995: Schwester S – Ja, klar

Nach der durchaus gelungenen Trackauswahl der ersten drei Folgen wirkt die Berücksichtigung von Frau Setlurs Debüt natürlich wie ein Schlag in die Fresse. Ich gebe zu, damals Du liebst mich nicht im Nachtschicht-Remix wie das letzte Herzschmerz-Opfer gepumpt zu haben, hätte aber genug Anstand, einen Pop-Song wie diesen nicht in meine Deutschrap-Hitliste der letzten 25 Jahre zu packen. 1995 wäre eine schöne Gelegenheit gewesen, Zeitreise von MC Rene feat. Aphroe und Ono oder Spüre diesen Groove vorzustellen, der hätte die vorangegangenen Teile passender fortgesetzt und dem für Deutschraps Entwicklung nicht ganz unwichtigen Freestyle-König Rene Respekt gezollt, zumal dieser ’95 ein Debütalbum draußen hatte. Obwohl ich zugeben muss, dass Ja, klar für den deutschen Sprechgesang und seine Wahrnehmung in der Öffentlichkeit wesentlich prägender war, wenn auch nicht in positiver Hinsicht. Und immerhin handelt es sich hier um den ersten Song, den beide Moderatoren erstaunlicherweise bereits seit den Neunzigern zu kennen scheinen.


1996: Stieber Twins – Fenster zum Hof

Jan Wehn hatte die Stiebers-CD und wollte sie wieder zurückgeben, für Visa Vie ist auch dieser Track bzw. das Album „ganz weit weg“, womit sie ihren Kenn‘-ich-eigentlich-gar-nicht-Schnitt auf starke 4/5 anhebt. Statt über den Track reden die Hosts lieber über sich selbst – von der eingangs erwähnten CD-Reklamation bis hin zur traurigen Geschichte, wie Visa Vie einst auf einer Hamburger Jam von einem der beiden Stiebers (Identität unbekannt) ein Interview verweigert wurde – eine mäßig unterhaltsame Story, die aber nahezu die gesamte zweite Hälfte der Folge in Anspruch nimmt. So kann man auch Sendezeit totschlagen. Außerdem hören wir ein kurzes Plädoyer für Family und Unity und gegen den Hip-Hop-Generationenkonflikt. Ganz lustig in dem Zusammenhang ist, dass die Podcast-Serie gleichzeitig ein Promo-Countdown zum Red Bull Soundclash im Dezember ist, wo besagte Generationen aufeinandergehetzt werden.


1997: Freundeskreis – Leg Dein Ohr auf die Schiene der Geschichte

In Folge 6 ist es endlich so weit: Der Song von Freundeskreis scheint als erster Deutschrap-Klassiker dieser Liste (Ja, klar zählt nicht) tatsächlich so etwas wie Enthusiasmus in den beiden Hosts zu wecken, was man während der Diskussion ziemlich deutlich raushört, denn sie dreht sich hauptsächlich um den Song. Gegen diesen oder das Album Quadratur des Kreises ist auch nichts einzuwenden, sicherlich handelt es sich um eins der wichtigsten Releases 1997. Den Namen Max Herre und den Begriff Grown Man Rap in einem Satz zu sagen sollte man allerdings unter allen Umständen vermeiden.


1998: Absolute Beginner feat. Samy Deluxe – Füchse

Man merkt, dass sich die Moderatoren langsam warmlaufen: In der Füchse-Episode wird kaum vom Thema abgeschweift und es gibt weniger Vielleichts und Keine Ahnungs als in den ersten Folgen. In der Anmoderation wird behauptet, „Bambule gilt vielen als das beste Deutschrap-Album aller Zeiten“. Ich gehöre nicht dazu. 1998 erschienen nur zwei Longplayer, die das Zeug hatten und haben, als beste Rap-Alben Deutschlands durchzugehen und auch den Test-of-Time mit Bravour bestanden haben – das eine ist Unter Tage von RAG, das andere Dorn im dritten Auge von Feinkost Paranoia, beides absolute Meilensteine des Genres. Bambule hingegen befindet sich trotz der enthaltenen Hits – und Füchse ist einer, keine Frage – nicht einmal in der Nähe dieser beiden Meisterwerke.


1999: Afrob feat. Ferris MC – Reimemonster

„Grandios“, „komplett Zeitlos“, „erste richtige Rap-Hymne“ – Jan Wehn und Visa Vie platzen fast vor Begeisterung in Bezug auf die AfrobFerris-Kombo Reimemonster. Ich nicht. Ich konnte Reimemonster schon damals nicht ab und ich will auch heute nichts davon wissen. Trotzdem ist es richtig, den Track im Rahmen einer Serie wie Deutschrap25 zu bringen, denn tatsächlich langweilte dieses Lied/Video mich nicht nur beim Fernsehen, sondern verfolgte mich bis in die Clubs. 1999 klebte ich auf Feinkost Paranoias Album Biofeedback und dem Comeback von STF, dort besonders auf der B-Seite Ihr müsst noch üben mit dem jungen King Kool Savas am M-I-C. Da war kein Platz mehr für locker-belanglose Party-Songs wie Reimemonster… aber jedem das Seine.


2000: Plattenpapzt feat. Kool Savas – King Of Rap

Über die Nummer muss man nicht viel sagen. Jeder, der den Track damals hörte, hatte das Gefühl, Zeuge von etwas Besonderem geworden zu sein. So sehen das auch die beiden Moderatoren. Jeder andere Song wäre hier fehl am Platze gewesen, King Of Rap war der prägendste Rap-Track des Jahres 2000 und führte das Genre „Deutschrap“ zu ganz neuen Ufern, die Nachwirkungen kann man bis heute spüren. Jan Wehn und Visa Vie gehen lobenswerterweise auch auf den Producer Plattenpapzt ein, auf dessen Album Full House der Track zu finden war. In Sachen Recherche hapert es mal wieder – so werden zwar viele Rapper aufgezählt, mit denen Papzt was gemacht hat, dafür wird unterschlagen, wie lange der Kerl eigentlich schon am Start ist und dass er als Plattenpapst Jöak Mitglied bei Fresh Familee war. Und dass, obwohl Jan Wehn noch in Folge 1 erklärt hatte, seine Mutter hätte ihm die Musik der Crew aus Ratingen „nahegelegt“, was auch immer das heißen mag…


Das Fazit:

Eine – vor allem zu Anfang – erstaunlich gute Songauswahl trifft auf mäßigen Erkenntnisgewinn. Warum wurde nicht in jeder Folge einer der beteiligten Künstler ans Mikrofon gelassen? Oder zumindest ein Zeitzeuge? Hier hätten sich interessante Konstellationen ergeben können. Ein paar mehr Anekdoten und Geschichten die Tracks betreffend – und nicht die Hosts – sowie ein bisschen mehr Sorgfalt bei der Recherche hätten dem Format ebenfalls gutgetan. So taugt Deutschrap 25 weder als Geschichtsstunde, weil die Fakten zu kurz kommen und ich nach dem Hören nicht schlauer bin als vorher, noch als ernstzunehmendes Diskussionsformat, weil es relativ uninteressant ist, zwei Leuten beim Gespräch über etwas zuzuhören, mit dem sie sich nur oberflächlich auseinandergesetzt haben. Deutschrap 25 bleibt damit leider nur eine gute Idee, die mangelhaft umgesetzt wurde.

3 Gedanken zu “Podcast „Deutschrap 25“: der gescheiterte Versuch, uns deutsche Rap-Klassiker erklären zu wollen

  1. „Jedem das Seine?“ Alter! Wenn du Kritik an Inhalt und Form übst, überdenk mal deine Wortwahl. Wikipedia hilft. Davon abgesehen: Ich hätte auch eher STF oder anderes in die Liste gepackt. Aber dieses 25-Ding soll sicher keine Underground-Show sein (im Gegenteil, sie promotet eine ekelhaftes UnternehmenRed Bull, was für mich der erste Kritikpunkt gewesen wäre), sondern prägende Tracks vorstellen.

    1. Es geht nicht um die Trackauswahl, gegen die habe ich nichts einzuwenden. Siehe z.B. Schwester S, da steht doch eindeutig, dass der Track prägender war als die von mir genannten, auch wenn ich ihn nicht leiden kann. Und es ging mir hier nur um den Podcast und den Inhalt, nicht darum, welches Unternehmen dahintersteckt.

      Zu „Jedem das Seine“: Ich wusste zuerst ehrlich gesagt nicht, was du meinst, dann ist mir der NPD-Mann mit dem Tattoo im Schwimmbad letztens eingefallen. Wikipedia sagt, dass der Begriff aus der Antike stammt. Und dass die Nazis ihn für das KZ Buchenwald verwendet haben, Zitat: Der Spruch „Jedem das Seine“ (in der Bedeutung von „Jedem, was er verdient“) steht von innen lesbar über dem Haupttor.

      Auf Wiktionary steht folgendes:

      Bedeutungen:
      [1] alle erhalten das, was sie verdienen (im Positiven, wie im Negativen)
      [2] alle (sollen) tun, wählen, bevorzugen, was sie möchten
      [3] Nationalsozialismus: die Gefangenen verhöhnender Schriftzug auf dem Tor des Konzentrationslagers Buchenwald

      So wie ich den Begriff im Text zu Reimemonster verwendet habe, kann man ihn nur so verstehen, wie er auch gemeint ist – nämlich wie Bedeutung [2] „alle (sollen) tun, wählen, bevorzugen, was sie möchten“. Im Sinne von „für mich war Reimemonster nichts, aber wer den Track mag, der mag ihn halt“. Insofern sehe ich keinen Anlass, die Wortwahl zu überdenken.

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