Jetzt ist es also so weit: das Jahr 1990 liegt offiziell ein Vierteljahrhundert zurück. Statt rumzuheulen, wie schnell die Zeit vergeht und warum ich so ein alter Sack geworden bin (immerhin soll 40 ja das neue 20 sein, was mich gewissermaßen zum Teenager macht), surfe ich lieber auf der Jubiläumswelle und gratuliere den Releases, die die 90er Jahre offiziell eröffneten. Die ersten Glückwünsche gehen heute raus an 18 Alben und EPs von der Westküste, die 1990 erschienen sind – und was war das für ein großartiges Jahr! Der frisch auf Solopfade gewechselte Ice Cube veröffentlichte sein Debüt, Kid Frost, CMW, Paris und Above The Law brachten ihre Erstlinge auf den Markt und auch sonst brodelte es unter der Sonne von South Central bis rauf nach Oakland…
N.W.A – 100 Miles And Runnin‘
Mit diesem grandiosen Nachfolger zu Straight Outta Compton zeigten Dre, Ren, Eazy und Yella, dass sie ihre Angelegenheiten auch ohne Ice Cube fest im Griff hatten: Der Titeltrack ist eines der besten Stücke der Niggaz With Attitude überhaupt, dem auch noch ein Geniestreich von Video spendiert wurde – und dass ihnen die Kontroverse um Fuck Tha Police herzlich scheißegal war, zeigen sie mit der noch gewalttäigeren Fortsetzung Sa-Prize (Part 2). Ein Review zur EP aus der Frühzeit dieses Blogs findet ihr hier. (Tracklist und Info)
Ice Cube – AmeriKKKa’s Most Wanted
Das Debüt des Jahres legte Ice Cube mit AmeriKKKa’s Most Wanted hin, und so sehr ich auch N.W.A in der Urbesetzung verehre: Wer solo so ein Album raushauen kann, der braucht keine Gruppe um sich. Sir Jinx und The Bomb Squad (New York) teilten sich die Produktion, Features kamen von Son Of Bazerk, Chuck D, Flava Flav und Yo Yo. Ausgekoppelt wurde unter anderem Who’s The Mack, im Video dazu spielt der junge DJ Pooh die Hauptrolle. (Tracklist und Info / Album kaufen)
Ice Cube – Kill At WiIl
Nur einen Monat nach AmeriKKKa’s Most Wanted kam die EP Kill At Will auf den Markt, mein persönliches Lieblings-Release von Ice Cube gleich nach Death Certificate. Enthalten waren 7 Tracks, unter anderem ein Remixes von Get off My Dick… und Endangered Species mit neuer Strophe von Chuck D sowie Jackin‘ 4 Beats, Ice Cubes Raubzug durch die Instrumentals der Kollegen. Im Gegensatz zum Debüt war diese EP beattechnisch eine reine Westcoast-Angelegenheit mit Produktionen von Chilly Chill und Sir Jinx, Ice Cube selbst produzierte die unvergessene Reminiszenz an alle Homeboys, die nicht mehr unter uns weilen: Dead Homiez. (Tracklist und Info)
King Tee – At Your Own Risk
Es gibt ihn überall, den Most Underrated MC, der nie die Anerkennung bekommen hat, die ihm zusteht. In Los Angeles ist sein Name King Tee. Zwei Jahre nach seinem Debüt Act A Fool kam At Your Own Risk raus, das vom minzgrünen Schlitten auf dem Cover über die Beats (größtenteils von DJ Pooh) bis zum Rhymestyle auf ganzer Linie überzeugt. Mehr als das, so ist z.B. der zeitlose Untergrund-Klassiker Played Like A Piano mit Features von Ice Cube und Breeze (L.A. Posse) für mich einer der besten Westcoast-Tracks jemals. (Tracklist und Info)
Above the Law – Livin’ Like Hustlers
Ein großes Album vom ersten bis zum Last Song, der mit einem Bomben-Feature von The D.O.C., MC Ren, Dr. Dre und Eazy-E aufwarten konnte. 1990 war ATL an der Westküste sicherlich die wichtigste Gruppe neben N.W.A, das Duo Cold 187um und KMG (RIP) harmonierte am Mic einfach perfekt auf den schweren Soul-Beats von Dre und LayLaw. Auf der CD wurde mit einem Extra-Sticker darüber informiert, dass das Video zum Track Murder Rap von MTV verbannt wurde – der Reiz des Verbotenen war auch früher schon ein gern genutztes Marketing-Instrument. (Tracklist und Info / Album kaufen)
C.P.O. – To Hell And Black
C.P.O. aka Capital Punishment Organization erinnert vom Sound her stark an N.W.A – Schuld daran ist vor allem MC Ren, der das Album komplett produziert (!) hatte und auf Gangsta Melody und der großartigen Single Ballad Of A Menace auch gefeatured wurde. Rapper Boss Hogg tauchte auch später noch sporadisch im Rapgeschäft auf, sein Partner DJ Train kam 1994 bei einem Brand ums Leben. (Tracklist und Info)
CMW – It’s a Compton Thang
Die bekannteste Crew Comptons gleich nach N.W.A legte mit diesem Album den Grundstein für die Karriere von MC Eiht und zwei mördermäßige Folgealben. Eiht wurde hier noch von Tha Chill MC am Mic unterstützt, Mike-T war für die Scratches verantwortlich und DJ Slip sowie The Unknown DJ produzierten die eingängigen Beats. Auch hier findet man vom Reinkommer One Time Gaffled ‚Em Up bis zum abschließenden Titeltrack keinen einzigen schlechten Song – in den Hitlisten vieler eingefleischter Westcoast-Heads rangiert dieses Album noch vor Straight Outta Compton. (Tracklist und Info)
Paris – The Devil Made Me Do It
Paris, der vermutlich radikalste Rapper überhaupt und zuhause in Oakland, Kalifornien (der Mutterstadt der Black-Panther-Bewegung), lieferte mit The Devil Made Me Do It sein gefeiertes Debüt ab. Das Video zum Titeltrack wurde von MTV postwendend aus dem Programm genommen, aber dank Tourneen durch Europa und die USA leiß Paris den Status als Geheimtipp schnell hinter sich. Sein Rezept: harte lyrische Kost auf schnellen Beats – die Revolution wird vielleicht nicht im Fernsehen übertragen, aber wenn sie einen Soundtrack hat, dann ist es diese LP. (Tracklist und Info / Album kaufen)
Too $hort – Short Dog’s In The House
Shortys drittes Studioalbum enthält unter anderem den essenziellen Track The Ghetto, mit dem Short Dog all jene Lügen strafte, die sein lyrisches Repertoire auf Pimps und Hoes reduzieren wollten. Mein persönlicher Favorit ist Ain’t Nothin But A Word To Me featuring Ice Cube, das sich in gewohnt expliziter Weise mit dem Wörtchen Bitch auseinandersetzt. (Tracklist und Info / Album kaufen)
Digital Underground – Sex Packets
Shock Gs Alter Ego Humpty Hump mit dem Riesenzinken im Gesicht beglückte uns auf diesem Album mit dem Humpty Dance, die zweite Hit-Auskopplung Doowutchyalike featurete Eazy-E, Kid N Play und viele andere Artists im Video. Soundmäßig hatten Digital Underground schon immer den Funk gepachtet und waren so etwas wie die logische Fortsetzung der Eskapaden eines George Clinton. Nur Kopfnicken ist hier nicht – wenn du den Sound suchst, der auf der nächsten Golden Era Party auch den letzten Tanzmuffel Richtung Discokugel treibt, bist du hier richtig. (Tracklist und Info / Album kaufen)
Kid Frost – Hispanic Causing Panic
Mit der Hymne La Raza – dem bekanntesten Track seiner erstn LP – repräsentierte und zelebrierte Kid Frost die Latino-Kultur, ebnete den Weg für Cypress Hill & Co. und ließ als einer der ersten Rapper überhaupt Lowrider im Video wippen. So kann das ganze Album im Bereich „Chicano Rap“ durchaus als wegweisend angesehen werden – auch wenn viele Tracks in eine koventionellere Richtung gehen und auf Spanglish-Slang verzichten. (Tracklist und Info / Album kaufen)
MC Trouble – Gotta Get A Grip
Mit gerade mal 20 Jahren hatte die vielversprechende Newcomerin MC Trouble ihren Erstling auf Motown Records draußen. Abgesehen vom stark R&B-lastigen Softie Make You Mine überwogen die härteren Uptempo-Stücke wie das wütende Black Line oder Is It Live. Ich schätze, man würde MC Troubles Namen heute in einem Atemzug mit Female-MCs wie MC Lyte und Queen Latifah nennen, hätte nicht ein Gehirntumor ihrem jungen Leben 1991 ein Ende bereitet. (Tracklist und Info / Album kaufen)
Boo-Yaa T.R.I.B.E. – New Funky Nation
Der Boo-Yaa T.R.I.B.E. war immer schon etwas Besonderes. Die riesige Familie samoanischer Schwergewichte griff auf ihrem Debüt auf Live-Instrumente zurück, was 1990 eher unüblich war, und trotz Gang-Zugehörigkeit der meisten Member hielten sich die verbalen Gewaltexzesse eher in Grenzen. Stattdessen droppten die Brüder das wahrscheinlich erste Rap/Funk-Crossover-Album überhaupt, und demonstrierten eindrucksvoll, dass auch große Männer tanzen können. (Tracklist und Info / Album kaufen)
415 – 41Fivin
Ein Geheimtipp aus Oakland, das damals mit San Francisco die Telefonvorwahl 415 teilte: Die Crew bestand aus (dem auch solo erfolgreichen) Richie Rich, D-Loc sowie den Produzenten J.E.D. und DJ Daryl. Ihr Debüt 41Fivin erschien 1990 zunächst auf Big League Records und wurde in Eigenregie auf der Straße vertickt, 1991 kam es dann zur Wiederveröffentlichung auf Priority Records. 41Fivin‘ ist astreine, schnörkellose Straßenkost mit satten Beats und einem nicht zu vernachlässigenden Einfluss auf Künstler aus dem benachbarten L.A.: So waren Snoop, Nate Dogg und Warren G große Fans der Crew, weshalb sie 2004 ihre Gruppe nach der Vorwahl von Long Beach – 213 – benannten. (Tracklist und Info)
Rodney-O. & Joe Cooley – Three The Hard Way
Diesem tief im Elektro-Sound der 1980er verwurzelten Duo aus Compton blieb der große Durchbruch trotz eines beachtlichen Outputs von fünf Alben und mehreren Singles verwehrt. Vielleicht lag es daran, dass die beiden ihrem Oldschool-Sound treublieben, als Los Angeles quasi komplett auf Gangsta Rap umschwenkte. Ihre zweite LP Three The Hard Way macht da keine Ausnahme: 14 Tracks, harte Beats, dope Cuts von DJ Joe Cooley und oldschoolige Rhymes von Rodney O. (Tracklist und Info / Album kaufen)
MC Pooh – Life Of A Criminal
MC Pooh aka Pooh-Man kennen einige vielleicht noch von Sex, Money & Murder, das man auf dem Soundtrack zu Juice hören konnte. Life Of A Criminal war sein von Ant Banks produziertes Debütalbum, das 1992 von Jive / Dangerous Records neu aufgelegt wurde und über weite Strecken Erinnerungen an den Sound Too Shorts aufkommen lässt. Der Albumtitel ist nicht schlecht gewählt, immerhin brachte es Pooh einige Jahre später zum verurteilten Bankräuber. (Tracklist und Info / Album kaufen)
Movement Ex – Movement Ex
Harter Polit-Rap, nicht so ultra-radikal wie Paris, aber Gewalt als Mittel zum Zweck nicht ausschließend – so ungefähr könnte man das bezeichnen, was Lord Mustafa und King Born Allah aus Los Angeles als Movement Ex 1990 veranstalteten. Man könnte die Gruppe vielleicht als das ambitionierte Westküsten-Äquivalent zu Public Enemy (minus den Einfluss) bezeichnen – die Single Freedom Got A Shotgun zeigt ganz treffend, wo’s soundmäßig langging. (Tracklist und Info)
Richie Rich – Don’t Do It
Wie schon auf dem Album seiner Crew 415 (siehe oben) präsentierte sich Richie Rich auch solo recht vielseitig: die Themenauswahl reicht von Storytelling (Rodney The Geek) über Politik (Media Hype) bis Battleshit (5 MC’s) und natürlich Lieder über schöne Ladies, all das gepaart mit dopem Oakland Funk von Producer JED, der auch bei 415 an den Reglern saß. (Tracklist und Info)