Kaputter R’n’B für Hartgesottene: D.R.S. aka Jackers – Gangsta Lean (1993)

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Dirty Rotten Scoundrels: wo geht’s hier zum Vorsingen?

R&B und New Jack Swing waren Anfang der 90er der „Hot Shit“, wie man heute sagen würde. Auch wenn der Inhalt der meisten Lieder auf die vier Wörtchen „Baby, I love you“ runterreduziert werden konnte, traf die Musik doch irgendwie den Nerv der Zeit und den Geschmack der Hörer. Der Sound von Gruppen wie Boyz II Men, Jodeci oder Color Me Badd enterte Charts, nahm Partys in Beschlag und untermalte unzählige Liebesakte weltweit. Klingt alles sehr schön und harmonisch – aber nur so lange, bis der besungene Liebesakt ohne die Zustimmung des Gegenüber vollzogen wird, weil dieser sich entweder wehrt oder seit ein paar Tagen tot ist…

Auftritt D.R.S. aus Sacramento, Kalifornien: Auf den ersten Hörer auch so eine weichgespülte Sing-Sang-Truppe, aber Moment, irgendwas ist anders!? Zunächst mal steht D.R.S. für „Dirty Rotten Scoundrels„, was übersetzt so viel wie schmutzige, miese, niederträchtige Halunken bedeutet. Die Mitglieder nennen sich Jail Bait, Deuce Deuce, Endo, The Blunted und Pic – klingt wie direkt aus dem offiziellen Gangster-Namenslexikon. Auch vom Look her würde man wohl keinen 08/15-Schmusepop erwarten, sondern eher in Deckung gehen, falls man nicht weiß, ob man die richtigen Farben trägt. Ihren Style nennen sie Gangsta Swing. Im Jahr 1993 releast diese seltsame Truppe ihr Album Gangsta Lean, und die gleichnamige Single wird zum Megaseller mit 2,5 Millionen verkauften Exemplaren.

Die Phrase Gangsta Lean wurde einem der großartigsten Tracks es 20. Jahrhunderts entliehen, nämlich William DeVaughns Be Thankful For What You’ve Got. Nachdem D.R.S. 1990 wohl auf Ruthless gesignt waren, dort aber nichts veröffentlichten, erschien ihr Album 1993 auf Capitol Records und über Produktionsfirma von MC Hammer, Roll Wit It Entertainment. Änderte aber alles nichts daran, dass sich die LP verkaufstechnisch als Flop entpuppte. Ein Faktor war die fehlende Massenkompatibilität, denn die souligen Gangsta-Balladen und lockeren Swing-Nummern wurden von einigen richtig abscheulichen Tracks unterbrochen. Ein Lied kann noch so smooth und die Stimme noch so sanft sein, wenn die Lyrics aus der Perspektive eines nekrophilen Massenmörders geschrieben sind, dann wird der geneigte R’n’B-Fan sich fragen, was er sich da für eine Scheiße ins Haus geholt hat. I’ll eat a pussy ‚till the police call me hannibal… Soulmusik der etwas anderen Art, eher ungeeignet für schöne Stunden zu zweit bei gedämpftem Licht – Sickness:

Der zweite äußerst fragwürdige Track auf dem Album ist Strip. Würde man hier einfach nur oberflächlich hinhören, wäre das alles kein Thema – schöne Uptempo-Swing-Nummer, würde man sagen, erinnert ein bißchen an Poison von Bell Biv Devoe, wer’s mag, warum nicht. Lauscht man ein wenig genauer, dann offenbart sich eventuell der bedrohlich mitschwingende Unterton. Hört man aber tatsächlich auf die Lyrics, dann tut sich ein Abgrund auf, und gerade weil das Lied klingt wie eine lockere New Jack Swing Nummer, trifft einen der Inhalt vollkommen unvorbereitet. Der verstörendste R’n’B-Track, der jemals aufgenommen wurde, Punkt.

Nach Aussage von Gruppenmitglied Pic in diesem Artikel der LA Times handelt es sich hier um einen Supportsong für den damals wegen Vergewaltigung verknackten Mike Tyson. Inwiefern Zeilen à la Don’t have to give me shit girl, because I’m takin‘ it / you better move your fuckin‘ arm girl, or else I’m breakin‘ it dem Mann helfen sollten, erklärt er aber nicht.

Auf der anderen Seite war die LP für die – durchaus an Geschmacklosigkeiten aller Art gewöhnten – Anhänger des Gangsta Rap vom Sound her dann doch eine Spur zu soft, und so mangelte es ganz einfach an der kaufkräftigen Zielgruppe. Dabei hatte Gangsta Lean als LP hat durchaus einige Songs, die man sich auch als Kostverächter in Sachen R’n’B anhören konnte, ich fand z.B. Mama Didn’t Raise No Punk mit der Deep-Cover-Bassline immer ganz cool. Wie dem auch sei, das Album floppte. D.R.S brachten mit Skoundrels Get Lonely 1994 noch eine Maxi raus (die angesichts kaputter Album-Tracks wie Strip stark nach Alibi klingt), dann verschwanden sie in der vielzitierten Versenkung.

Die Scoundrels waren also Geschichte, erstanden aber gut drei Jahre später wieder auf. Der alte Name wurde abgelegt, stattdessen hatte man es nun mit den Jackers zu tun. Diese brachten nur eine einzige Single raus, das wunderbare Stück Down 4 Life. Warum wunderbar? Erstmal klingt der Track stimmiger als die meisten D.R.S.-Sachen, der Seltsamkeits- und Exzessfaktor vom ersten Album fehlt hier völlig – stattdessen geht das ganze in Richtung Nate Dogg. Dann sind sowohl der Beat (Sample von Gil Scott Heron – Angel Dust) und das Video sehr gut gelungen. Und last but not least wird mit Mr. Doctor ein hevorragender Rapper aus Sacramento gefeatured, der aus der Garden-Blocc-Posse stammt und Fans eines gewissen Brotha Lynch Hung ein Begriff sein sollte.

Der B-Seiten-Remix von DJ Muggs fand sich übrigens auch auf einer Roey Marquis LP von 1997. Zudem hatten die Jackers mit I Can’t Fix It einen Song auf dem Soundtrack zum Film Gang Related mit James Belushi und 2Pac in den Hauptrollen. Neben einer obskuren Promo-Platte scheint das Lied das letzte der Jackers gewesen zu sein, aber sie verabschieden sich auf die beste denkbare Weise: Mit einem Blues, der wieder komplett anders klingt als alles, was sie vorher gemacht haben. Für mich war der Track eines der Highlights der CD, wobei ich keinen Plan hatte, dass es sich hier um D.R.S. handelte. Vielleicht konnten sie mit diesem Track wieder etwas Boden bei denjenigen gut machen, die sie seit ihrem Album auf der schwarzen Liste absolut unhörbarer Musik führten. Wer weiß?

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